MS1 Prüfungsprotokoll 22.04.2020

  • Hallo zusammen,


    aus den Protokollen im Forum habe ich sehr viel für meine Prüfungsvorbereitung mitnehmen können. Daher möchte ich gerne mein Protokoll und ein paar Tipps zur Prüfung mit euch teilen. Ich habe eine Zusammenfassung im Semester erstellt und ca. 2 Wochen (nicht vollzeit) für die Prüfung gelernt.


    Vorab: meine Prüfung dauerte ca. eine halbe Stunde und ich habe eine 1,0 erhalten.


    Ein paar Tipps für die Prüfung

    In den Protokollen findet man verschiedene Strategien wie man sich bei der Prüfung verhalten sollte. Manche sagen bewusst weniger, um Rückfragen zu provozieren, manche verfolgen ganz andere Strategien. Ich für meinen Teil habe in der Prüfung probiert mein gesamtes Wissen loszuwerden. Fakt ist: Ihr habt nicht unendlich viel Zeit um zu glänzen. Ich habe daher bei jeder Frage erstmal weit ausgeholt, ausführlich erklärt und probiert alles loszuwerden was ich zu dem Thema wusste. Ihr solltet euch aber natürlich sicher sein, dass ihr dann auch auf Rückfragen antwortet könnt. Wenn ihr irgendwas "neues" erwähnt, wird er nachfragen. Das kann vorteilhaft sein, wenn man viel weiß, aber natürlich auch nach hinten los gehen, wenn man ein Thema nicht ganz durchdrungen hat. Allgemein war es mir sehr wichtig aus den Fragen von Prof. Rinderknecht keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und alles differenziert zu betrachten. Es hilft wirklich mal ein paar Sekunden in sich zu gehen und dann erst zu antworten. So minimiert man auch das Risiko in der Prüfung ein Fass zu öffnen, dass man nicht öffnen will.


    Prüfungsprotokoll

    In meiner Prüfung ging es um die Schleifspindel aus den Folien von Kapitel 1. Nach ein paar einführenden Worten ging es auch schon direkt los.


    Es gibt ja zwei Möglichkeiten wie Sie bei der Modellbildung eines solchen Systems vorgehen können. Welche zwei Möglichkeiten sind das und was sind die Vorteile?

    - Theoretische und experimentelle Modellbildung.

    - Theoretisch: rein analytisches Modell, man spricht auch von White-Box-Modell

    - Experimentell: Ableiten/Abgleichen eines Modells durch Messung Ein- und Ausgangsgrößen, man spricht auch von Black-Box- oder Grey-Box-Modell

    - Vorteil theoretischer gegenüber experimenteller Modellbildung: es ist einfacher Parameter zu variieren und im Allgemeinen kostengünstiger


    Was gibt es bei der experimentellen Modellbildung noch zu beachten?

    - Ein System lässt sich durch Struktur und Parameter beschreiben. Diese können, aber müssen bei der experimentellen Modellbildung keinen physikalischen Hintergrund besitzen

    - Beispielsweise bei einem Black-Box-Modell hat man keine Informationen über Struktur und Parameter, weswegen nur über mathematische Funktionen das Übertragungsverhalten angenähert wird. Ein physikalischer Hintergrund existiert nicht

    - Als mathematische Funktionen eignen sich Koeffizientenpolynome oder auch neuronale Netze


    Bei der Modellbildung spielt die Modellierung der Dämpfung eine wichtige Rolle. Wie würden Sie dabei vorgehen?

    - Während man M und K i.d.R. aus einem FEM-Programm bekommt, müssen bei der Dämpfung Annahmen getroffen werden

    - eine praktikable, aber nicht physikalisch begründete Annahme ist die Proportionaldämpfung/Rayleigh-Dämpfung

    - Da man M und K schon kennt, müssen lediglich die Koeffizienten alpha und beta bestimmt werden

    - Hier kann man entweder auf Erfahrungswerte zurückgreifen oder kann diese messtechnisch ermitteln

    - Wichtig ist aber, dass diese Annahme nur für schwach gedämpfte Systeme verwendet werden kann


    Jetzt gibt es in unserem Beispiel verschiedene Ursachen von Dämpfung. Wie werden diese in der Rayleigh-Dämpfung berücksichtigt?

    - Ganz Allgemein wird zunächst bei Dämpfung zwischen innerer und äußerer Dämpfung unterschieden

    - Während die innere Dämpfung Vorgänge innerhalb eines Bauteils beschreibt z.B. Materialdämpfung, wird die äußere Dämpung über externe Dämpfungskräfte bestimmt

    - Die innere Dämpfung wird über alpha K berücksichtigt, die äußere über beta M


    Dämpfung kann auch beispielsweise in den Fanglagern auftreteten. Wieso kriegt man in so einem Fall durch die Rayleigh-Dämpfung keine guten Ergebnisse?

    - Die Dämpfung durch die Lager tritt lokal an ganz bestimmten Stellen der Welle auf

    - Durch die Rayleigh-Dämpfung werden mittels der Terme Dämpfungen über großflächige Bereiche beschrieben

    - Daher liefert die Rayleigh-Dämpfung in so einem Fall keine zufriedenstellenden Ergebnisse


    In den Fanglagern kann es auch weitere Phänomene geben, die das Systemverhalten verändern können. Fällt Ihnen dazu etwas ein?

    - In solchen Lagern können Nichtlinearitäten in Form von nichtlinearen Randbedingungen auftreten wie z.B. Spiel


    An dieser Stelle hat er das System auf seinem Tablet vereinfacht. F1 und F2 sind Aktorkräfte, q1 und q2 Sensoren, FB ist eine Betriebskraft. Regelziel: q1=q2=0

    Wie kann man dieses System regeln?

    - Zunächst einmal haben wir hier zwei Aktorkräfte weswegen ein Mehrgrößensystem vorliegt

    - Bei Mehrgrößensystemen gibt es jetzt 3 Möglichkeiten bei der Regelung vorzugehen

    - 1. Möglichkeit: Sofern eine geringe Kopplung zwischen den Freiheitsgraden vorliegt, bietet sich dezentrale Regelung an. In diesem Fall können die Freiheitsgrade jeweils über einen PD-Regler geregelt werden, die Kopplung wird als Störung vom Regler ausgeregelt

    - 2. Möglichkeit: Wenn irgendwo im System Starrkörperdynamik vorliegt, kann als Sonderfall eine entkoppelte Regelung verwendet werden. Diese Bedingung kann beispielsweise im Schwerpunkt erfüllt sein. Dazu werden die zu regelnden Größen mittels einer Transformationsmatrix in den Schwerpunkt überführt, mit jeweils einem PD-Regler geregelt und zurück transformiert. Das lässt sich allerdings nur selten anwenden.

    - 3. Möglichkeit: Wenn keine geringe Kopplung zwischen den Freiheitsgraden vorliegt, müssen diese zentral über einen PD-Regler geregelt werden. Dazu würde sich eine Regelung im Zustandsraum mit Beobachter anbieten.


    Können Sie näher auf die Regelung im Zustandsraum mit Beobachter eingehen?

    - Zunächst einmal fällt das unter die Kategorie modellbasierte Regelung

    - Das Problem bei realen System ist, dass man nicht alle Zustände sensieren kann

    - Die Idee hinter dieser Methode ist daher das reale System auf Basis eines Modells zu regeln, welches im Beobachter hinterlegt wird

    - Aus der Ein- und Ausgangsgröße des realen Systems wird im Modell der Zustand des realen Systems abgeschätzt und über einen Regler zurückgeführt


    Warum ist es so wichtig die Ausgangsgröße des realen Systems einzubeziehen?

    - Ein Modell ist eine Abstrahierung der Realität und damit prinzipiell immer unsicherheitsbehaftet

    - Weiterhin wirken auf mein reales System Störeinflüsse, die ich in meiner Modellbildung nicht berücksichtigen kann

    - Daher ist es wichtig die Ausgangsgröße des Modells mit der des realen Systems abzugleichen


    Wie würden Sie denn die Regelung des Systems mit einem PD-Regler bewerten?

    - Zunächst einmal fällt mir auf, dass die Aktor-Sensor-Paare nicht kollokiert sind

    - Für eine Bewertung der Stabilität brauche ich aber Informationen über die Eigenfrequenzen meines Systems


    Prof. Rinderknecht hat nun eine Biegeeigenfrequenz eingezeichnet. Er meinte das sei die 3. BEF. Die ersten beiden BEF seien so, dass die Vorzeichen an Aktor- und Sensorpositionen gleich wären.


    Ist das System nun mit einem PD-Regler stabilisierbar?

    - Die Eigenformen der 3. BEF haben jeweils an Aktor- und Sensorposition verschiedene Vorzeichen. Es gibt somit einen Vorzeichenwechsel der Modalkonstanten von der 2. zur 3. BEF und daher kein Nullstellenpaar zwischen den Polpaaren. Das System ist somit nicht ohne weiteres mit einem PD-Regler stabilisierbar.


    Was hätten Sie denn für Alternativen?

    - Wenn ich Anfahrvorgänge berücksichtigen soll kann ich meinen PD-Regler um einen Filter erweitern

    - Dafür bietet sich ein Tiefpassfilter oder ein Notchfilter an

    - Der Tiefpass schwächt die Verstärkung des offenen Regelkreises so ab, dass die elastischen Mode nicht mehr destabilisiert werden kann. Problem: Phasenabsenkung, aber auch Eingrenzung des Betriebsbereichs

    - Notchfilter agiert wie eine schmalbandige Bandsperre. Im Endeffekt wird die Nullstelle des Reglers auf die Resonanz gelegt. Problem: Wir sind in der Modellbildung und stets unsicherheitsbehaftet. Es kann nicht garantiert werden, dass der Notchfilter die Resonanz genau trifft.

    - Daher würde ich mit Anfahrvorgängen bevorzugen meinen PD-Regler um einen Tiefpass zu erweitern

    - Wenn wir keine Anfahrvorgänge beachten, kann ich auch auf einen Beobachter zurückgreifen und das Signal zwischen Aktor und Sensorposition um 180° verschieben, so dass diese wieder die gleichen Vorzeichen haben


    Fällt Ihnen noch eine weitere Möglichkeit ein?

    - Kaskadenregelung


    Bei der Kaskadenregelung sind wir bis zum Ende meiner Prüfung stecken geblieben. Nachdem ich die Idee dahinter, die Umsetzung und Problematiken erläutert hatte, kamen ein paar knifflige Transferfragen. Ich kann die Fragen leider nicht mehr zuverlässig rekonstruieren, da ich in dem Moment sehr angespannt war. Es ging im Endeffekt um das Differenzieren und Integrieren von Signalen und was das für mein Regelziel q1=q2=0 bedeutet. Dabei hat er auch den Vergleich eines PD-Reglers rangezogen wo der D-Anteil das Signal im Endeffekt auch differenziert. Wir haben uns die Lösung dieser Fragen in den letzten 5 Minuten meiner Prüfung zusammen erarbeitet. Ich konnte wohl noch in einem Satz das loswerden was er hören wollte und danach hat er die Prüfung beendet. Nach nicht mal einer Minute wurde ich dann wieder "reingeholt" und habe meine Note erhalten.


    Ich hoffe dieses Protokoll hilft euch weiter. Viel Erfolg beim Lernen und bei der Prüfung!

  • Hallo,


    ich habe eine Frage. In deine Protokoll habe Anfährvorgänge erwähnt. In Frage Was hätten Sie denn für Alternativen?


    Ich möchte fragen, was bedeute Anfahrvorgänge und welche Einfluss hat diese Anfährvorgänge auf dieses Auswahl

    von Regelung(Zustandrückführung mit Beobachter und Tiefpass mit PD Regler):)

  • Ein System hat ja mehrere Eigenfrequenzen. Manche sind höher als andere. In meiner Prüfung wurde beispielsweise nur die dritte Biegeeigenfrequenz (BEF) eingezeichnet. Bevor diese eintritt, gibt es aber noch zwei weitere BEF. Die Berücksichtigung von Anfahrvorgängen heißt, dass mein System alle Frequenzen von 0 aufwärts durchläuft. Das heißt bevor ich zur dritten BEF komme, erfährt mein System auch schon die erste und die zweite BEF. Du musst dann dafür sorgen, dass das System bei jeder durchfahrenen BEF stabil ist. Wenn du allerdings keine Anfahrvorgänge berücksichtigst, regelst du nur eine einzige BEF. Du "springst" quasi direkt in den dich interessierenden Resonanzzustand ohne die anderen zu durchlaufen, in meinem Fall war das die dritte BEF. Das regeln ohne Anfahrvorgänge ist natürlich nur eine theoretische Überlegung.


    Hoffe das beantwortet deine Frage :)

  • Vielen Denk für deine Antwort^^


    Ich habe noch zwei kurzfrage. In diesem Fall bedeutet dass Zustandrückführung mit Beobachter nur in bestimmte Frequenz wirkt, oder?

    Woher kann man das Signalphaseverschiebung von Beobachter wissen? ich habe in MS Folien nicht gefunden:(

  • Hallo, ich möchte wissen, bei der letzten Frage über Kaskadenregelung, “ Es ging im Endeffekt um das Differenzieren und Integrieren von Signalen und was das für mein Regelziel q1=q2=0 bedeutet. ”, weißt du die Antwort für q1=q2=0 ?

    Vielen Dank😊